Charles Kenwright „Landscape“ – eine Fotoausstellung in der Galerie Litvai
Farben? Fehlanzeige. In seiner Ausstellung „Landscape“ verzichtet Charles Kenwright bewusst auf dieses zentrale fotografische Gestaltungsmittel. Warum frage ich ihn? „Ich arbeite in der Landschaftsfotografie lieber schwarz-weiß. Das zwingt mich dazu, meinen Blick zu schärfen und ganz bewusst in Schwarzweiß zu denken“, erklärt Kenwright in seinem so sympathischen nordenglischen Dialekt, der sich auch nach mehr als 15 Jahren Deutschland nicht dem niederbayerischen Idiom seiner Wahlheimat Landshut beugen mag. Ich erhalte an diesem Vormittag eine Privatführung durch den langgestreckten Raum der Galerie Litvai, in dem 19 Fotografien in den Formaten A3 und A2 hängen und außerdem zwei Klanginstallationen auf neugierige Zuhörer warten.
Das Spiel mit Konturen
Ich kenne Charles nun seit mehr als 15 Jahren und habe seine fotografischen Arbeiten sowie seine Videoproduktionen seitdem kontinuierlich verfolgt. Dabei kann (und will) ich nicht leugnen, dass mich sein Stil gerade in der Landschaftsfotografie maßgeblich in meinen eigenen Ansichten beeinflusst hat. Das erkenne ich während der Betrachtung seiner Arbeiten wieder. Das Spiel mit scharfen und weichen Konturen, der Wechsel von großflächigen und kleingliedrigen Formen, die oftmals dramatischen Wolkenformationen als Kontrapunkt zu eher flächigen Vordergründen zieht sich durch fast alle Exponate. Und eben der Verzicht auf Farbe.
Da Charles nicht nur ein ausgezeichneter Fotograf, sondern auch ein erfahrener Bergsteiger, ziehen mich seine Bergmotive sofort an. Und es freut mich, dass ich sogar ein Bild entdecke, bei dessen Entstehung ich an Charles‘ Seite stand. Die Hochkantaufnahme des Großen Reichensteins im öserreichischen Gesäuse vom Juli 2016 fasziniert vor allem durch die feinziselierten Wolkenfetzen, die wie eine wattierte Lava aus dem Gipfel des Reichensteins emporschweben.
Biblisches
Das 2011 in Kappadokien erinnert mich schlagartig an die wunderbaren Arbeiten des brasilianischen Fotografen Sebastiao Salgado. Vor gut zwei Jahren waren Charles und ich von Wim Wenders’ ausgezeichneter und erschütternder Dokumentation über Salgados Leben zutiefst beeindruckt. Die mächtigen Diagonallinien des rechten Vordergrundes führen den Blick des Betrachters subtil aber bestimmt in den Hintergrund, wo schroffe, scharfe Felsformationen das Zentrum bilden. Charles zögert und erläutert dann „Hier empfinde ich etwas Biblisches. Episches.“ Ich springe in Gedanken in Salgados Bildmanifest „Genesis“.
Landscapes – Soundscapes
Zwischen den in schlichten weißen Holzrahmen mit exakt gearbeiteten Passepartouts steckenden Schwarz-Weiß-Fotos hängt ein Flachbildschirm, an den zwei Kopfhörer angeschlossen sind. Es erwarten mich zwei Klanginstallationen, die von weiteren wenigen Fotos unterlegt sind. Charles nennt diese Arbeiten Ton-Bildscape und Video-Tonscape. Dabei kamen verschiedene Mikrofone zum Einsatz – so auch ein Unterwasser- und ein Kontaktmikrofon. In der ersten Installation „Weihbüchl“ ist Charles den gewaltigen Windrädern an diesem Ort akustisch auf die Pelle gerückt. Ich fühle mich fast wie in einer Kathedrale – Glockenschläge erklingen, hallen nach, dann fetzen kleine peitschenartige Hiebe ins Ohr, gedämpfte Schüsse knallen. In „Sound of Place“ schließt sich ein Loop über Naturklänge an, mit Vibrationen von wackelnden Gatterzäunen, niedlichem Wasserplätschern, geisterhaften Windzügen.
Körniges Quadrat
Vor dem letzten Foto bleibe ich lange stehen. Es ist das einzige, das nicht im 21. Jahrhundert entstanden ist. Und das einzige, das nicht im Quer- oder Hochformat präsentiert wird. „Ich habe es 1994 in der Camargue mit einer Hasselblad im Mittelformat aufgenommen. Analog.“, erklärt Charles. Unser digitales Betrachterauge – wenn es nicht gerade instagramverwöhnt ist – kann mit quadratischen Bildern mittlerweile eher wenig anfangen. Mich packt das Bild, das den Ausschnitt einer Düne mit vom Wind gebeugten Strandgräsern zeigt. Nicht nur, weil der Abzug richtiges (!) Korn zeigt, sondern vor allem, weil sich hier wie in einem Brennspiegel erneut die Kunst des Charles Kenwright zeigt – die der totalen Reduktion. Der Reduktion auf die endlosen Graustufen zwischen Schwarz und Weiß, auf das eine Bildelement, welches dem Foto seine unverwechselbare Aussage gibt. Farbe? Wozu?
Aufgrund des großen Publikumsinteresses wurde die Ausstellung bis einschließlich 2.Dezember 2016 verlängert. Es besteht die Möglichkeit, nach Voranmeldung über info(at)openmind-images.com auch mit dem Fotografen zu sprechen.