Billy Joel – eine Jugendliebe
Zugegeben. Meine Erwartungen waren hoch. Sehr hoch. Denn ich hatte Billy Joel bereits dreimal live auf der Bühne erlebt. Und jedes Mal war es für mich schlichtweg die musikalische Offenbarung eines absoluten Superstars: Anfang der 1990er in Hamburg in der Alsterdorfer Sporthalle, Ende der 1990er in Oldenburg und 2006 in der Frankfurter Festhalle fanden diese für mich legendären Konzerte statt. Aber mein erstes Joel-Album erklang viel früher – im Dezember 1977 in meinem Kieler Jugendzimmer.
Ein musikalisches Weihnachtsgeschenk aus den USA war es, genauer gesagt von meinem Patenonkel aus New York war eingetroffen. Eine Musicassette des Albums „The Stranger“, mit dem Joel der internationale Durchbruch gelang. Von diesem Tag an war ich Pubertierender dem New Yorker Singer-Song-Writer mit Nürnberger Wurzeln hoffnungslos verfallen. Ich versuchte mich auf dem Klavier an seinen Balladen und klampfte auf der Gitarre mühevoll die verminderten Septakkorde nach. Besonders beeindruckte mich aber seine Stimme – extrem hoch, tenoral und dabei doch so viral-männlich, voller Lust auf das Leben in einer dampfenden Metropole wie NYC.
Jedes neuen Billy Joel-Album war von nun an eins, zwei, drei – meins. Aus den Cassetten wurden LPs, aus den LPs später CDs und auch DVDs. Das Medium wechselte, der Musiker blieb. Die Titel wurden reifer, die Arrangements elaborierter und die Produktionen großformatiger und gleichzeitig doch auch ausgefeilter. Bis zu seinem ersten Live-Album „Songs in the Attic“ 1981 war Joel für mich primär ein genialer Studiomusiker. Und dann kam das Konzert in Hamburg. Ich war bis dahin noch nie Zeuge eines derart großartigen Live-Erlebnisses gewesen. Billys wirklich grandiose Qualitäten als Entertainer kamen hier voll zur Geltung, er erzählte mit seiner Titelauswahl und der klug gewählten Abfolge seine eigene Karriere nach. Seine humorvollen Überleitungen, sein New Yorker Charme, sein Denglish, seine kindische Freude an gelungenen Soli und Improvisationen waren eine Wucht. Auch in Oldenburg und vor allem in Frankfurt setzte sich diese Art der Konzertperformance fort. Jedes Mal spielte der Entertainer mit den Gegebenheiten vor Ort, lockte und triezte sein Publikum und ja – rockte die Bühne.
Der Piano Man wird alt
Und nun also Frankfurt 2016. Ein Jahrzehnt später. Im Januar erfuhr ich über einen Facebook-Post von Henning aus Köln, dass Billy nach zehn Jahren Europa-Abstinenz wieder nach Europa kommen würde – für ein Konzert im deutschsprachigen Raum. Es folgten ein kurzer Anruf bei meinem Freund Michi, die Online-Buchung der Tickets für uns und der Beginn einer monatelangen Vorfreude.
Ok, ich bin prinzipiell skeptisch, wenn es um das Thema Stadionkonzerte geht. Vor allem aus akustischen Gründen. Ok, diesmal sollte es also die Commerzbank-Arena sein, in dem sonst Eintracht Frankfurt sein Bundesliga-Unwesen treibt. Die Arena war im Innenraum komplett bestuhlt und belegt, die Ränge gut gefüllt. Etwa 30.000 Menschen waren ins Rund gekommen, um Joels musikalische Qualitäten zu genießen, und um in seinen teils mehr als 40 Jahre alten Songs ihr eigene Jugend aufleben zu lassen, den Superstar noch einmal live zu erleben.
Fotos findet ihr in der Galerie „Billy Joel in Frankfurt 2016“ – nur mit dem iPhone. Es rauscht 😉
Nach der bei Joel üblichen Ouvertüre mit dramatischer Orchestereinleitung eröffnete das Klaviervorspiel zu „Miami 2017“ (I’ve seen the lights go out on Broadway) einen gut zweieinhalbstündigen Konzertabend, der mich bis auf wenige Momente so merkwürdig kalt gelassen hat, dass ich ziemlich irritiert war. Lag es an mir und meiner Stimmung, dass keine solche in mir aufkam? Lag es an der so furchtbar halligen, fast kirchenartigen Akustik, die so ziemlich jeden musikalischen Zwischenton verschluckte und bis zur Verzerrung – gerade bei den Bläsersätzen – überzeichnet war (siehe Nachtrag unten)? Lag es an einem Billy Joel, der sein Programm aus fast dreißig Songs routiniert abspielte, sich dabei auch den einen oder anderen Textaussetzer und auch so manchen intonatorischen Lapsus erlaubte? Oder vielleicht doch an der Attitüde eines alternden Rock-Super-Stars, der sich nichts mehr beweisen muss und dies an diesem Abend für meine Begriffe das Publikum auch spüren ließ? Entgegen all meiner Hoffnungen, befürchte ich nach diesem Abend am 3. September 2016 von Frankfurt, dass Billy Joel doch nun auch zu jenen Künstlern zählt, die nicht wirklich spüren, wann die Zeit für einen endgültigen Abschied von der Bühne gekommen ist. Am ehesten erreichte Joel sein (für mich) gewohntes Live-Niveau in den Balladen wie „Vienna“, „She is always a woman“, dem herrlich verjazzten und unterschätzen „Zanzibar“ und mit Abstrichen auch in „Leningrad“. Völlig verhetzt und überspielt kamen mir dagegen das so individuelle „We didn’t start the fire“, musikantisch belanglos das so herrliche „Scenes from an Italian restaurant“.
Billy Joel – lohnt sich ein Besuch im Garden?
Dass Billy Joels Stimme im Lauf der Jahrzehnte reifer, dunkler und vor allem tiefer geworden ist, habe ich – wie bei vielen Sängern – immer als Geschenk wahrgenommen. Viele hohe Töne kommen nun nicht mehr, werden oktaviert oder von Bandmitgliedern übernommen. Das ist ok, aber ein weiteres untrügliches Zeichen dafür, dass Joels Zeit als Live-Musiker aus meiner Sicht abgelaufen ist. Auch dann, wenn er seit einiger Zeit regelmäßig im Madison Square Garden in New York auftritt. Das tut er so lange, bis die Leute ihn dort nicht mehr hören oder sehen wollen, sagt er selbst. Bis zu seinem Konzert in Frankfurt war der Garden noch mein Ziel. Aber wie sagte Michi nach dem Konzert zu mir. „Ich würde über den Teich fliegen – wenn er nochmal in einem Club spielen würde.“
P.S. Diesen Text hatte ich bereits am 4. September auf der Rückfahrt von Frankfurt nach München geschrieben. Und erst heute – exakt vier Wochen danach – komme ich dazu ihn online zu stellen.
P.P.S. Nachtrag am 5.10.2016: Billy Joel äußerte sich nach massiver Kritik vieler Konzertbesucher selbst zur Akustik in der Commerzbank-Arena über den facebook-Account der Konzertagentur Lieberberg.
„I’m not surprised that there were complaints about the sound in Frankfurt.
The venue itself was an acoustic nightmare – with solid concrete surfaces from top to bottom.
We spent the whole day there trying to improve the reverberation problems.
My sound engineer, Brian Ruggles, said it was the most difficult sound mixing situation he had ever encountered.
That’s saying a lot – after close to 50 years of sound mixing in almost every famous stadium and arena all around the world.
We thought that the Frankfurt audience was great. During the show their response was extremely enthusiastic and positive.
My apologies to those people who didn’t enjoy the concert due to the bad acoustics there. I wanted them to enjoy our concert.
But we gave that show the same energy and effort as any other concert we have ever given. I will stand by my sound engineer of 46 years in this instance. He is considered to be one the best sound engineers in the business. His reputation is impeccable. But even a great sound engineer can’t negate the extreme sonic effects that are inherent in certain kinds of architecture.
Sincerely,
B. Joel“
Weitere Details in einem Artikel auf regioactive.de.